Eventim steht nicht erst seit der vielbeachteten Reportage von Jan Böhmermann im Zentrum der Kritik vieler Veranstalter:innen und Ticketkäufer:innen. Intransparente Gebühren, eingeschränkte Flexibilität und mächtige Exklusivverträge werfen Fragen auf, wie zukunftsfähig das dominierende System tatsächlich ist. Doch der Ticketmarkt könnte sich in den kommenden Jahren verändern – nicht zuletzt durch Start-ups, die innovative Technologien entwickeln, um bisher ungelöste Probleme anzugehen.
Die Zukunft des Ticketings liegt in neuen Ansätzen, die Veranstalter:innen mehr Kontrolle und Endkund:innen mehr Transparenz und Nutzerfreundlichkeit bieten. Viele dieser Lösungen befinden sich bereits in der Entwicklung und könnten die Spielregeln grundlegend ändern.
Zukunftsvisionen für den Ticketmarkt: Was fehlt?
Die Anforderungen an ein modernes Ticketing-System gehen weit über den klassischen Verkauf hinaus. Gerade Veranstalter:innen und Kulturinstitutionen wünschen sich Funktionen, die weitgehend fehlen oder aktuell nicht in zufriedenstellender Qualität umgesetzt werden. Start-ups könnten hier eine entscheidende Rolle spielen, indem sie sich auf folgende Punkte konzentrieren:
- Digitales Abo-Management:
Konzerthäuser und Theater stehen vor der Herausforderung, ihre oft komplexen Abomodelle digital und benutzerfreundlich abzubilden. Dabei geht es um die Möglichkeit, flexiblere Pakete zu erstellen, Veranstaltungen individuell auszuwählen und automatisch zu verwalten. Bisher gibt es keine universelle Lösung, die diesen Anforderungen gerecht wird – ein großes Potenzial für Innovation. - Dynamische Preisgestaltung:
Obwohl viele Veranstalter:innen mit variablen Preisen, Frühbucherrabatten oder speziellen Platzkategorien experimentieren möchten, fehlen Tools, die diese Ideen leicht umsetzbar machen. Ein intelligentes System, das beispielsweise durch Nachfrage- oder Saisondaten Preise in Echtzeit anpasst, könnte hier den Unterschied machen. - Einfache Integration in bestehende Webauftritte:
Eine reibungslose User Experience ist entscheidend. Fans möchten Tickets direkt auf der Website eines Theaters, Festivals oder Clubs kaufen können, ohne auf externe Portale umgeleitet zu werden. Die Entwicklung von White-Label-Lösungen, die dies ermöglichen, steht noch am Anfang, bietet aber enormes Potenzial. - Werbung direkt aus Ticketshops steuern:
Ein weiterer Ansatz liegt in der Verbindung von Ticketing und Marketing. Künftig könnten Ticketshops direkt Schnittstellen zu Plattformen wie Meta und Google bieten, um gezielte Werbekampagnen für Events zu steuern. Veranstalter:innen könnten so ihre Zielgruppen effizienter erreichen und ihre Marketingausgaben optimieren – ein Feature, das große Plattformen wie Eventim in ihrer Standardstruktur nicht leicht umsetzen können.
White-Labeling: Der Schlüssel zu flexiblen Lösungen?
Ein besonders vielversprechender Ansatz, um diese Probleme zu lösen, könnte das Modell des White-Labelings sein. Hierbei entwickeln Start-ups Ticketing-Systeme, die Veranstalter:innen unter ihrem eigenen Branding nutzen können. Das würde bedeuten:
- Markenstärkung der Veranstalter:innen:
Fans kaufen Tickets direkt bei „ihrem“ Festival, Club oder Theater – nicht über eine generische Plattform. Dieses Vertrauen ist ein entscheidender Faktor. - Individuelle Anpassungen:
Statt sich den Vorgaben großer Anbieter wie Eventim unterwerfen zu müssen, könnten Veranstalter:innen eigene Features und Preismodelle integrieren. Beispielsweise könnte ein Konzerthaus sein Abo-System nahtlos digitalisieren oder ein Festival flexible Kombi-Tickets anbieten. - Erste Schritte in der Entwicklung:
Aktuell sind solche Lösungen noch rar oder wenig ausgereift. Doch die nächsten Jahre könnten zeigen, wie Start-ups solche Systeme entwickeln, verfeinern und mit weiteren innovativen Funktionen ausstatten.
Prognose: Diversifizierung und technologische Innovationen als Schlüssel
Firmen wie Fever, die bereits in Amerika und Europa aktiv sind, werden mit einem Erlebnis-fokussierten Ansatz Marktanteile gewinnen. Sie verstehen den Ticketmarkt zunehmend als Massenware und Datenkrake und bieten kuratierte Erlebnisse an, die über standardisierte Buchungsprozesse vermarktet werden. Gerade durch starke Investoren im Rücken könnten solche Unternehmen zu einer ernsthaften Konkurrenz für Eventim werden.
Der Schlüssel liegt jedoch weniger in der Monopolisierung neuer Player als in der Diversifizierung der Anbieterlandschaft. Wir gehen davon aus, dass technologischer Fortschritt es Start-ups ermöglichen wird, sich am Markt fest zu etablieren und sowohl Veranstalter:innen als auch Kund:innen besser zu bedienen – mit günstigeren Preisen, flexibleren Funktionen und innovativen Lösungen.
White-Labeling spielt in dieser Prognose eine zentrale Rolle: Start-ups könnten durch verbundene Systeme eine Plattformvielfalt schaffen, die es ermöglicht, spezifische Bedürfnisse von Nischen zu bedienen. Eine solche Struktur hätte den Vorteil, dass diese Anbieter für einen Giganten wie Eventim weder leicht aufzukaufen noch zu verdrängen wären. Stattdessen würde Eventim selbst gezwungen sein, sich an den neuen Standard anzupassen, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben.
Die Zukunft des Ticketmarktes könnte somit in einem vielfältigen Ökosystem liegen – angetrieben von innovativen Technologien, agilen Start-ups und einem stärkeren Fokus auf die tatsächlichen Bedürfnisse von Veranstalter:innen und Endkund:innen. Dieser Wandel wird nicht nur die Ticketpreise senken, sondern auch die Art und Weise, wie wir Kultur und Erlebnisse buchen, grundlegend verändern.
Die nächsten Jahre werden zeigen, welche Start-ups diesen Wandel erfolgreich gestalten können – und welche Rolle Eventim dabei noch spielen wird.
Die Verantwortung der Veranstalter:innen
So vielversprechend die Entwicklungen im Ticketmarkt auch sind, sie können nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn Veranstalter:innen selbst aktiv werden und neue Wege ausprobieren. Die technologischen Möglichkeiten und die Entstehung flexiblerer Anbieter eröffnen Chancen, Abhängigkeiten von großen Plattformen wie Eventim zu reduzieren. Doch dafür braucht es Mut, sich von gewohnten Strukturen zu lösen und alternative Lösungen bewusst zu testen und zu fördern.
Die Zukunft des Ticketmarktes liegt nicht allein in den Händen von Start-ups oder großen Investoren, sondern auch in der Bereitschaft der Veranstalter:innen, Innovationen zu unterstützen und auf eigene Bedürfnisse abgestimmte Systeme zu nutzen. Indem sie wach und aktiv bleiben, können Veranstalter:innen dazu beitragen, ein vielfältigeres und gerechteres Ökosystem zu schaffen – eines, das nicht nur besser zu ihrem Publikum passt, sondern auch langfristig eine lebendige und dynamische Kulturlandschaft fördert.